Katja Aufleger, Sirenen Vol. II (with a contribution by Philip Gaißer)
24. May - 13. July 2019

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Annette Hans on Sirens Vol. II

Al Wakra—that is the name of an area in the desert country of Qatar as well as the title of Katja Aufleger’s glass organ pipes. The former is the site of so-called singing dunes, which produce specific sounds—a sort of roar or drone—that can sometimes be heard in the desert for miles around. The pipes were made out of the sand of one of these walking dunes, which Aufleger brought back from a trip to Qatar. They emulate the dune’s timbre and are both works of sculpture a sound installation. The decision to manufacture the pipes out of glass was motivated not so much by design considerations and an aesthetic preference for this particular substance as rather by its material basis: glass is made out of sand. A physical transformation of the dune lets it keep chanting its “song” from the organ pipes. With a subtle difference: air and moving particles are still what produce the sound, but their migration, their self-willed movement, is frozen. Yet the latter is what generates the dull and loud noise (“song” strikes me as almost a misnomer). More precisely, the vibration of countless grains of sand set in motion generates the noise, as each individual grain is synchronized with many others, resulting in homogeneous motion and homogeneous vibration, not unlike the voices in a chorus singing in unison. Scientists have not entirely unriddled the unison of the sand, and even if one day they do, the fascination the phenomenon has exerted on humans for centuries will persist. The dune is like a Siren, attracting researchers as well as mythmakers. The phenomenon as an inscrutable creature, a sand spirit, the partner in a pas de deux of seduction—and, potentially, a source of danger. The oscillation between beauty / fascination and menace; the (purported) quest for clarity; the logical, positively systematic structure underlying the works; the interconnections and affinities between the components and the whole: these are recurrent features of Aufleger’s art. They encourage us to indulge in the seductive allure of the qualities of materials, surfaces, colors, and sounds. But also in the perpetual expectation that something might happen, something unexpected and inexplicable, something to lure us in. As in the video “The Glow,” in which fishermen showcase their bait in empty swimming pools, painstakingly performing how they might proceed in reality for YouTube tutorials. Aufleger’s compilation gathers these trigger moments in a looped sequence that plays for around eight minutes. Yet the suspended event never comes to fruition. Or then again it does: the artist has overlaid the videos with a soundtrack—a series of clicking noises made by earplugs. They might save me from temptation as they saved Odysseus’s comrades in Homer, but they also cast me in the role of the fish tempted into biting, barring me from identification with an explanatory commentary that would place me in a less equivocal set of relationships. Still, even then there would be a vestigial air of seduced seduction to the scene. And so the essence of the works realizes itself in the imagination and as anticipation—somewhere between the present absence of Qatar’s Al Wakra and the emptiness of the digital pool.

Philip Gaisser has joined Katja Aufleger on the trip to Qatar. Acknowledging their shared experience without making specific reference to it, Gaisser presents a guest contribution to Aufleger’s exhibition: the photographic series “Step 1 to 17 (complete).” The pictures show the process of a mortar bee putting its stamp on human construction by adding its own piece of “rock” to a stone wall. Fastidious and obedient to the iron law of its nature, it builds a nest out of sand and glandular secretions, lays eggs in it, and dies. As so often in Gaisser’s art, starting with his observation of this undertaking, one thing leads to another—in “Step 1 to 17 (complete),” for example, to the Alexander Mosaic in Pompeii. The allure, here, lies in the kinship between the two works, which are doomed to destruction yet escape their fate. The bee is certainly fascinating, laboring to build as though conscious, despite the lethal logic of its life, of the continuity of a form. And in Gaisser, too, that is not something he exhibits as such.

In these logical processes translating one into another, it is less the dunes than the works themselves that, like latter-day Sirens, chart trails through the powerful fragility of systems of knowledge. To be seduced, Baudrillard thought, is to be led astray from one’s truth. To seduce, to lead the other astray from his.

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Al Wakra – das ist eine Gegend im Wüstenstaat Qatar und zugleich der Titel von Katja Auflegers gläsernen Orgelpfeifen. Dort gibt es so genannte singende Dünen, deren spezifische Töne, eine Art Brüllen oder Dröhnen, manchmal kilometerweit durch die Wüste hallen. Die Orgelpfeifen sind aus dem Sand einer dieser Wanderdünen gemacht, den Aufleger von einer Reise dorthin mitgebracht hat. Sie ahmen den Ton der Düne nach und sind zugleich Skulptur wie Soundinstallation. Dass die Pfeifen aus Glas gemacht sind, folgt weniger einer ästhetisch-gestalterischen Entscheidung für das Material als der Logik seiner Beschaffenheit: Glas wird aus Sand gemacht. Durch die Verarbeitung dessen, was die Düne ausmacht, „singt“ sie in den Orgelpfeifen weiter. Mit einem kleinen aber feinen Unterschied: Noch immer sind es Luft und die Bewegung von Teilchen, die ihren Ton ergeben, aber ihre Wanderung, ihre Eigenbewegung wird unterbunden. Diese jedoch ist es, die das dumpfe und laute Tönen (Singen erscheint mir dafür fast als abenteuerliche Bezeichnung) erzeugt. Um genauer zu sein: Das Vibrieren vieler in Bewegung versetzter Sandkörner erzeugt den Klang und zwar deshalb, weil das einzelne Sandkorn sich mit vielen anderen synchronisiert und eine homogene Bewegung und eine homogene Vibration entstehen. Ähnlich wie gleiche Stimmen in einem Chor. Restlos wissenschaftlich geklärt ist dieser Gleichklang des Sandes nicht und selbst wenn, bliebe wohl die Faszination, die seit Jahrhunderten von diesem Phänomen ausgeht. Die Düne ist sirenengleich und damit gleichermaßen Ausgangspunkt für Forschung wie Mythenbildung. Das Phänomen als unbegreifliches Wesen, als Sandgeist, als Gegenüber, das verführt – und von dem potentiell Gefahr ausgeht. Dieses Wechselspiel von Schönheit / Faszination und Gefahr, die (vermeintliche) Suche nach Klarheit, die logische Systematik, in der sich ihre Arbeiten aufbauen und die Zusammenhänge und Beziehungen zwischen den Einzelteilen und dem Ganzen sind wiederkehrende Momente in Auflegers Arbeit. Darin steckt ein Verführungsangebot, das sich der Eigenschaften von Materialien, Oberflächen, Farben und Klang bedient. Aber auch der fortwährenden Erwartungshaltung, dass etwas geschehen möge, etwas Unerwartetes und Unerklärliches, dass ein Köder ausgeworfen werde. Wie in dem Video „The Glow“, in dem Angler in YouTube-Tutorials ihre Köderfische und ihre perfektionierten Annäherungen an reales Fischverhalten in leeren Pools präsentieren. In Auflegers Zusammenschnitt fügen sich diese Triggermomente zu einem rund achtminütigen Loop. Das suspendierte Ereignis aber löst sich nie ein. Oder eben doch: Die Künstlerin hat den Videos als Soundspur ein wiederkehrendes „Klackgeräusch“ hinzugefügt, das von Ohrstöpseln herrührt, die mich wie die Gefährten des Odysseus bei Homer vor Verführung schützen könnten, die mir aber auch die Rolle des zum Beißen verführten Fisches zuweisen, weil ich mich nicht mehr mit einem erklärenden Kommentar identifizieren kann, der die Beziehungsverhältnisse eindeutiger klären würde. Aber auch dann bliebe ein Rest von verführter Verführung. Und so realisiert sich das wesentliche der Arbeiten in der Vorstellung und als Vorahnung – irgendwo zwischen der anwesenden Abwesenheit von Al Wakra in Qatar und der Leere des digitalen Pools.

Nach Qatar waren Katja Aufleger und Philip Gaisser gemeinsam gereist. Dem Rechnung tragend, aber ohne konkret auf die Reise Bezug zu nehmen, zeigt Gaisser in Auflegers Ausstellung als Gastbeitrag die Fotoserie „Step 1 to 17 (complete)“. Die Fotografien zeigen den Prozess, mit dem sich eine Mörtelbiene in eine menschliche Bautätigkeit einschreibt und einer Steinwand einen eigenen „Stein“ hinzufügt. Akribisch und ihrer natürlichen Determiniertheit folgend fertigt sie aus Sand und Sekret ihr Nest, um anschließend darin Eier zu legen und zu sterben. Ein Unterfangen, dessen Beobachtung wie so oft in Gaissers Arbeiten von Einem zum Nächsten führt – im Falle von „Step 1 to 17 (complete)“ zum Beispiel zum Alexandermosaik aus Pompeij. Verführerisch ist das Verhältnis zwischen diesen beiden Werken, die dem Untergang geweiht sind und ihm doch entrinnen. Faszinierend ohnehin das Bauen der Biene, als wisse sie trotz der tödlichen Logik ihres Lebens vom Fortbestehen einer Form.
Und auch bei Gaisser ist es nichts, was er unmittelbar zeigt. In diesen logischen Prozessen, die eins ins andere übertragen, sind es weniger die Dünen als die Arbeiten an sich, die wie Sirenen Fährten durch die machtvolle Fragilität von Wissenssystemen legen. Für Baudrillard heißt verführt sein, von seiner Wahrheit abgebracht sein.
Verführen heißt, den anderen von seiner Wahrheit abbringen.

Katja Aufleger, Suse Bauer, Pia Ferm, Lindsay Lawson, Pointland
7. September - 27. October 2018

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In “Flatland,” Edwin A. Abbott penned a caustic satire on the social hierarchies and mores of Victorian society. One climactic episode describes the protagonist A. Square’s encounter with a point, who leads an absolutely monadic existence in the fathomless depth of zero dimensions and recognizes no existence other than his own. With reference to Abbott’s novella, the exhibition “Pointland” at Galerie Conradi counters the evident reality of the existing world with spaces of possibility. The four artists Suse Bauer, Lindsay Lawson, Katja Aufleger, and Pia Ferm examine the gap between the actual and the possible in a series of interventions into the field of perception.
Suse Bauer’s large-format four-part picture is titled “Landschaft unter Aufsicht” (“Landscape under Surveillance”) and engages in a play with the representation of dimensionality. The work is based on an abstract clay model that a scanner’s light sensors recorded dot by dot. Bauer translates the relief-like forms into two dimensions; drastically magnified in the print measuring 9.8 by 6.6 feet, they limn the fiction of a vaguely dystopian landscape. The work contrasts the characteristics of image and sculpture, plastic processes and digital technology, and raw material and glossy surfaces in order to point up the potentiality implicit in all that is given and the possibility of latency.
Where Bauer explores utopian visions, Lindsay Lawson’s video “The Smiling Rock” studies the production of desire: the heroine, Sophie, falls in love with an agate geode offered for sale on eBay. The veins on its cut and polished face evoke a face with a clownish grin. Her increasingly irrepressible desire for the virtual object—she cannot afford to buy it—becomes the crux of her reality. Mixing animated elements with camera footage, Lawson’s narrative is based on a real-world anecdote: the rock was offered online for a million dollars. By spotlighting the power of attraction an object can exert, Lawson also raises the question of how social values and significances come into existence.
Katja Aufleger’s installation “And he tipped gallons of black in my favorite blue” similarly reflects on processes in which attributions and functions are displaced. She removed the labels from the original packaging of off-the-shelf detergents and arranges the containers in a color circle based on the one Goethe drew up in order to add the perceptual component to physical questions of color design. By implementing her color circle with cleaning agents, she establishes a situation defined by ambiguity: her work points to processes of visualization as well as the removal of all traces.
Pia Ferm’s works, meanwhile, undercut the boundaries of medium specificity. Her tufted wall hangings (“Still life no. 2”, “Baldino”, “Half-profile”) are based on watercolors she manually translates into three-dimensional woolen surfaces. Balancing between painting and sculpture, Ferm’s rugs integrate elements of the visual vocabulary of abstraction, referring to the role of the gestural line in painting while possessing depth as well as tactile qualities.
What the four artists’ works approach from various angles is a shared concern: the possibilities opened up by reframing social determinations. They summon us to challenge ideas about the dimensions of the world by demonstrating that what is is not everything.

Nadine Droste



Edwin A. Abbott schrieb mit „Flatland“ eine beißende Satire über die gesellschaftlichen Hierarchien und Anschauungen der viktorianischen Gesellschaft. Einen Höhepunkt markiert das Aufeinandertreffen des Protagonisten A. Square mit einem Punkt, der in den Untiefen des Nichtdimensionalen als absolute Monade lebt und einzig sich selbst als Existenz anerkennt. Die Ausstellung „Pointland“ in der Galerie Conradi referiert auf Abbotts Novelle und stellt der Evidenz der unmittelbar gegebenen Welt Möglichkeitsräume entgegen. Die vier Künstlerinnen Suse Bauer, Lindsay Lawson, Katja Aufleger und Pia Ferm thematisieren die Differenz zwischen dem, was wirklich, und dem, was möglich ist, indem sie auf unterschiedliche Weise in das Feld der Wahrnehmung intervenieren.
Suse Bauers großformatiges vierteiliges Bild trägt den Titel „Landschaft unter Aufsicht“ und tritt in ein Spiel mit der Darstellung von Dimensionalität ein. Die Arbeit basiert auf einem abstrakten Modell aus Ton, das von den Lichtsensoren eines Scanners Punkt für Punkt abgetastet wurde. Bauer übersetzt die reliefartigen Formen ins Zweidimensionale, um im stark vergrößerten Druckformat von 3 x 2 Metern die Fiktion einer dystopisch anmutenden Landschaft zu entwerfen. Sie kontrastiert die Eigenschaften von Bild und Skulptur, bildhauerische Prozesse und digitale Techniken sowie Rohmaterial und Hochglanzoberflächen, um auf die Potentialität einer jeden Gegebenheit und die Möglichkeit der Latenz zu verweisen.
Während Bauer utopische Visionen erforscht, widmet sich Lindsay Lawson in ihrem Video „The Smiling Rock“ der Produktion von Begehren: Die Figur Sophie verliebt sich in einen auf eBay angebotenen Achat, dessen Maserung auf der polierten Schnittseite an ein clownesk lachendes Gesicht erinnert. Ihr stetig wachsendes Verlangen nach dem virtuellen Objekt, für dessen Kauf sie die Mittel nicht besitzt, entwickelt sich zum bestimmenden Moment ihrer Realität. Lawsons zwischen animierten und filmischen Elementen wechselnde Erzählung basiert auf der wahren Begebenheit eines online für eine Million Dollar angeboten lachenden Steins. Wenn Lawson von der Anziehungskraft, die ein Objekt auszuüben vermag, berichtet, dann stellt sie zugleich die Frage, worüber sich gesellschaftliche Werte und Bedeutungen generieren.
Ebenso reflektiert Katja Aufleger in ihrer Installation „And he tipped gallons of black in my favourite blue“ Vorgänge der Verschiebung von Zuschreibungen und Funktionen. Aus handelsüblichen Reinigungsmitteln in Originalverpackung, deren Etiketten entfernt wurden, bildet sie einen Farbkreis, wie ihn Goethe entwickelte, um physikalische Fragen der Farbgestaltung um die Komponente der Wahrnehmung zu erweitern. Indem Auflegers Farbkreis durch Reinigungsmittel Umsetzung findet, schafft sie eine Situation der Ambiguität. Denn ihre Arbeit verweist zugleich auf Prozesse der Sichtbarmachung und Entfernung jeglicher Spuren.
Pia Ferms Arbeiten wiederum unterlaufen die Grenzen der Medienspezifik. Ihre getufteten Wandteppiche („Still life no. 2“, „Baldino“, „Half-profile“) basieren auf Aquarellzeichnungen, die sie in Handarbeit in dreidimensionale Flächen aus Wolle übersetzt. Zwischen Malerei und Skulptur oszillierend greifen Ferms Teppiche Elemente der abstrakten Formsprache auf, referieren auf gestische Linienführungen in der Malerei und weisen ebenso räumliche Eigenschaften sowie haptische Qualität auf.
Aus verschiedenen Blickwinkeln werfen die vier Künstlerinnen einen Blick auf die Möglichkeiten der Neuperspektivierung gesellschaftlicher Festlegungen. Sie appellieren daran, die Vorstellungen der Dimensionen von Welt herauszufordern, indem sie aufzeigen, dass das, was ist, nicht alles ist.

Nadine Droste